Alles Gute zum 110. (nachträglich)

Älteste Glühbirne der Welt

“Das ewige Licht von Livermore”

Vor 110 Jahren machte in Livermore jemand das Licht an – und bis heute ist es nicht ausgegangen. In der Feuerwehrstation des amerikanischen Westküstenstädtchens hängt die älteste, noch brennende Glühbirne der Welt. Die Rekordlampe machte Livermore berühmt – und wird dort wie ein Schatz gehütet. Von Karin Seethaler

In Livermore, 70 Kilometer vor San Francisco, hat man lange auf diesen Tag gewartet. Genauer gesagt, seit dem 8. Juni 2001. Damals, vor zehn Jahren, fand in der Feuerwehrstation 6 des 80.000-Einwohner-Städtchens das letzte, große Jubiläumsfest statt. Eine gelungene Party mit mehreren hundert Gästen, verschiedenen Live-Bands, Kuchen, Drinks und Barbecue. Ein Riesending, sogar in Neuseeland wurde darüber berichtet.

Und nun ist es wieder soweit. Wieder hat sich die Garage der Feuerwache mit Gästen gefüllt. Ein Team von “Patch News” ist da und filmt. Die Kamera wandert langsam über die versammelte Festgemeinde, eine Gruppe Pfadfinder in Uniform, Lynn Owens, den pensionierten Fire Chief, in historischem Kostüm. Neben ihm, auf einer kleinen, improvisierten Bühne, steht die TV-Moderatorin Juliette Goodrich von Channel 5 und streicht sich die blonden Haare aus der Stirn: “Fertig?”, ruft sie ins Mikrofon. Und dann fängt der ganze, vollbesetzte Saal an zu singen: “Happy Birthday to you” – bis der Gesang in Lachen, Klatschen und bunten Ballons untergeht.

Das Geburtstagskind selbst baumelt einsam in fünf Metern Höhe, knapp unter der Feuerwehrhausdecke an einem dünnen Kabel und leuchtet bescheiden. Zwischen einem Gewirr von schwarzen Rohren und Neonlampen ist es kaum auszumachen. Doch es leuchtet, beharrlich und mit erstaunlicher Ausdauer, seit stolzen 110 Jahren: Livermores “Centennial Light” und Attraktion Nummer Eins – die älteste, brennende Glühbirne der Welt.

“Diese Glühbirne wurde nie abgeschaltet”

Livermore liebt seine “Light Bulb”, daran besteht kein Zweifel: Steve Bunn liebt sie, der ihr vor ein paar Jahren eine eigene Website eingerichtet hat, oder Dick Jones, der zu ihrem offiziellen Fotografen ernannt wurde. Und natürlich auch Mike Dunstan, der Journalist und “Glühbirnen-Historiker” mit dem die ganze Sache losging. Schließlich war er es, der vor vierzig Jahren auf die Sensationsbirne aufmerksam gemacht hatte.

1972 war das gewesen. Damals, als junger Reporter bei der Lokalzeitung “Livermore Herald & News”, hatte Dunstan den Feuerwehrhauptmann der Stadt, Jack Baird, interviewt. Dabei berichtete dieser auch von den Gerüchten rund um das Notlicht, das in seiner Feuerwache in Betrieb sei. Bereits 1901, so erzählte man sich, sei es von Dennis Bernal, dem Besitzer des örtlichen Elektrizitätswerks, gespendet worden. “Diese Glühbirne wurde nie abgeschaltet”, erklärte Baird, “außer während einer Woche in den Dreißigern als die Station renoviert wurde und bei einigen Stromausfällen.”

Keine schlechte Story, fand Mike Dunstan. Aber ließ sich die Spur einer einzelnen Glühbirne wirklich so weit zurückverfolgen? Dunstan beschloss, es zu probieren. Bei seiner Recherche geriet er irgendwann auch an Zylpha Bernal Beck, die Tochter von Dennis Bernal. Ja, erklärte die damals 88jährige, ihr Vater habe dem Livermore Fire Department diese Glühbirne vor langer Zeit geschenkt, und zwar am 8. Juni 1901. Da hatte man das Licht eingeschaltet.

Weltweites Echo auf ein Licht

Mike Dunstan witterte allmählich einen echten Coup. Mit Mrs. Becks Aussage auf dem Papier wandte sich der Journalist zunächst an den Herausgeber des Guinessbuchs der Rekorde und bat ihn, die Angelegenheit zu prüfen. Erst als dieser ankündigte, er werde das Feuerwehrhauslicht in Livermore in die nächste Ausgabe des Rekordbuches aufnehmen, ließ Dunstan die Bombe platzen: “Glühbirne könnte älteste der Erde sein”, titelte der “Livermore Herald”.

“Die Geschichte löste weltweites Echo aus”, erinnerte sich der Journalist später. Zeitungen und Nachrichtensender, auch außerhalb der USA, griffen die Sache auf. Praktisch über Nacht wurde Livermore ein Ort, an dem Geschichte geschrieben wurde. Eine neue Erfahrung in einer Stadt, die man bisher – wenn überhaupt – nur in Zusammenhang mit den “Lawrence Livermore Laboratories” wahrgenommen hatte, einem ausgedehnten Forschungsareal am Stadtrand, wo seit 1952 für die Entwicklung von Kernwaffen geforscht wurde. Nun hatte sich die Perspektive plötzlich geändert: Aus der Stadt mit der Atombombe war die Stadt mit der Glühbirne geworden.

Plötzlich wuchs auch die Wertschätzung für den fragilen Glaskolben. Die Feuerwehrleute von Station 6, die die Glühbirne früher oft als Glücksbringer berührt hatten, bevor sie zu Einsätzen fuhren, ließen solche Spielchen nun sein. Bald wagte niemand mehr, das Licht auch nur zu berühren.

“Alle hielten den Atem an”

Das letzte Mal, dass jemand die Glühbirne anfasste, so erzählt man sich heute in Livermore, war 1976, als die Feuerwehr vom Stadtzentrum an ihren heutigen Standort in der East Avenue wechselte. Vorsichtig packte man sie in einen Spezialbehälter aus Styropor, schnallte sie auf dem Vordersitz eines Pick-Up fest und kutschierte sie mit Polizeieskorte zu ihrem neuen Domizil – um dort eine echte Schrecksekunde zu erleben. Als der städtische Elektriker die Birne anschloss, blieb es erst mal zappenduster. “Alle hielten den Atem an”, erinnerte sich Lynn Owens, der damalige Feuerwehrhauptmann, später an den kritischen Moment, “aber das verdammte Licht wollte nicht angehen.” Erst als man ihm einen leichten Stoß versetzte, begann es wieder zu leuchten.

Seitdem brennt die Livermore Glühbirne durchgehend seit 40 Jahren. Und verstaubt, weil niemand ihr mehr zu nahe kommen will. Niemand will schuld sein, wenn das Jahrhundertlicht den Geist aufgibt. Doch danach sieht es nicht aus. Zwar schafft das kleine Licht inzwischen nur noch 4 Watt, doch es scheint und scheint und je länger es das tut, desto mehr steigt auch die Zahl derer, die sich fragen: Wie ist das möglich?

Diese Frage stellte man schließlich auch der Physikerin Dr. Deborah Katz von der U.S. Naval Academy in Annapolis, die 2008 hinzugezogen wurde, um das Rätsel zu ergründen. An einer alten Glühbirne, die der aus Livermore ähnlich war, vollzog sie ihre Untersuchungen. Sie testete den Glühdraht im Teilchenbeschleuniger und kam zu einem wichtigen Schluss: Der Draht sei wesentlich dicker als bei modernen Leuchtmitteln. Außerdem bestehe er vermutlich aus Karbon, einem Halbleitermaterial, dessen elektrische Leitfähigkeit sich verbessere, wenn die Temperatur steige – anders als bei gewöhnlichen Glühbirnen.

Eine Webcam sendet alle zehn Sekunden ein Bild

Wahrscheinlich, so das Fazit, handle es sich um ein Modell, das ein gewisser Prof. Adolphe Chaillet, ein französischer Immigrant, im Jahr 1897 entworfen und gemeinsam mit der “Shelby Electric Company” in Ohio entwickelt habe. Die Qualität dieser Produktion sei damals um einiges höher gewesen als die der Konkurrenz von Thomas Edisons “General Electric Company”. Allerdings war auch der Produktionsaufwand größer. Letztlich habe sich deshalb die minderwertigere aber einfacher zu erzeugende Edison-Glühbirne durchgesetzt

Trotzdem: In Wirklichkeit weiß eigentlich niemand so genau, wie es möglich ist, dass die Livermore Glühbirne auch nach 110 Jahren immer noch leuchtet. Und viele wollen es auch gar nicht so genau wissen, ist es doch gerade diese unerklärliche Hartnäckigkeit, die in den Menschen eine Saite zum Klingen bringt. Inzwischen hat sich eine regelrechte Fangemeinde gebildet. Bücher wurden über die Glühbirne geschrieben, Artikel, sogar ein Team aus Hollywood reiste kürzlich an und drehte eine abendfüllende Dokumentation. “A century of light” heißt der Film.

Indessen tut man in Livermore alles, damit die Jahrhundertglühbirne noch lange weiter brennen möge. Seit dem Umzug 1976 hängt sie an einer eigenen Stromquelle, um sie vor eventuellen Stromausfällen zu schützen. Eine Webcam sendet alle zehn Sekunden ein Bild der Birne in die Welt – damit auch die internationale Anhängergemeinde sich laufend von ihrem Wohlergehen überzeugen kann.

Was passiert, wenn das Licht in Livermore einmal doch ausgeht, ist unklar. Doch im Augenblick will an diesen Tag ohnehin niemand wirklich denken. Irgendwie hat man sich doch sehr daran gewöhnt, die Stadt mit der Glühbirne zu sein.

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2 Antworten auf Alles Gute zum 110. (nachträglich)

  1. Nancy sagt:

    Thanks for the share!
    Nancy.R

  2. Ekologist sagt:

    Thanks for the share!
    Nancy.R

    +1

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